NSU TT, Der Urahn des Audi A1
Der Urahn des Audi A1
50 Jahre NSU Prinz, Focus online, 08.10. 2015
50 Jahre NSU Prinz
Der Urahn des Audi A1
Er ist Urvater der kompakter Audis und Namensgeber für den Audi TT. Der NSU Prinz war bis Anfang der 1970er Jahre Inbegriff für sportlich-schicke Kleinwagen und extraschnelle Kompakte. Sein Nachfolger inspirierte gar den VW Polo.
Unter den magischen Typencodes TT und TTS konkurrierten die kleinen NSU mit Kraftzwergen wie dem Mini Cooper. Vor genau 50 Jahren präsentierte der Neckarsulmer Fahrzeughersteller mit dem Prinz 4 das erste Mitglied der Modellfamilie mit Heckmotor. Während der Zweizylinder-Prinz am Ende seiner Karriere als damals einziger deutscher Kleinwagen produziert wurde, errangen die größeren NSU Typen 110 und 1200 Achtungserfolge im Segment von Käfer und Kadett.
Initiator des VW Polo
Dagegen waren die kleinen Hochleistungssportler TT und TTS auf Rundstreckenrenntrophäen abonniert. Eine Sensation war der 1963 präsentierte NSU Wankel Spider mit dem weltweit ersten Einscheiben-Wankelmotor. Noch wichtiger war jedoch der bis 1970 entwickelte Prinz-Nachfolger Typ 66 mit Frontantrieb und Schrägheck sowie Heckklappe. Der Wagen ging nie zwar nie Serie. Nachdem NSU 1969 aber durch Fusion mit Audi zur VW-Tochter Audi-NSU mutiert war, gelangte der nahezu fertig entwickelte NSU Typ 66 als Initiator des Audi 50 nach Ingolstadt.
Premiere feierte der erste moderne Audi-Kleinwagen allerdings erst 1974, ein Jahr später folgte das Wolfsburger Zwillingsmodell, der VW Polo – die Wiederentdeckung des Kleinwagens durch die deutschen Hersteller.
Dabei waren es die kleinen Klassen, die in den 1950er Jahren die Nachkriegsrepublik motorisierten. Auch NSU, der damals weltgrößte Motorradhersteller, setzte deshalb ab 1957 auf die Produktion eines familientauglichen Kleinwagens, der mit zeittypischem Heckmotorkonzept, aber sportlicher Ausrichtung eine neue Marktnische öffnen sollte. Tatsächlich attestierte die Fachpresse schon den ersten kleinen NSU-Baureihen der Typen Prinz I bis Prinz III unproblematische Fahreigenschaften und sportliches Temperament ob ihrer vergleichsweise lebhaften, bis zu 22 kW/30 PS entwickelnden Zweizylinder-Triebwerke.
Frühe Rennsporterfolge
Bei Rundstreckenrennen konnten sich diese frühen Prinzen regelmäßig gegen die Konkurrenz von Lloyd (Borgward), Fiat 600 oder auch BMW 600 durchsetzen. Erster Imageträger wurde jedoch ab 1958 der Sport-Prinz, ein elegantes Coupé im Design des Edelcouturiers Bertone. Mit dem Sport-Prinz folgte NSU dem Vorbild des VW Karmann-Ghia, der die zuverlässige und erschwingliche Technik des Käfers in spektakulär-schnelle Formen verpackte. Produziert wurden die flotten Prinzen bei Bertone und beim Karossier Drauz in Heilbronn. Für weltweites Aufsehen sorgte der Sport-Prinz allerdings erst ab 1963 in Spider-Form mit dem weltweit ersten Serien-Kreiskolbenmotor. Mit seinem immerhin 37 kW/50 PS freisetzenden Wankelaggregat erntete der Rotarier bei Bergrennen und auf Rundstrecken viel sportlichen Lorbeer. Hohe Preise und mangelnde Zuverlässigkeit verhinderten allerdings vordere Plätze in den Zulassungsstatistiken.
Designklau bei Chevrolet
Nur kurzzeitig steil nach oben führte auch die Verkaufskarriere der Prinzen-Garde I bis III. Spätestens mit der 1959 erfolgten Präsentation des ebenso dynamischen wie stattlichen BMW 700 war es vorbei mit dem Höhenflug der Neckarsulmer Kleinwagen. Auf der Suche nach Designkonzepten für den Nachfolger entdeckten der NSU-Vorstand Viktor Frankenberger und Chefkonstrukteur Albert Roderer auf dem Genfer Salon 1960 den Chevrolet Corvair. Das amerikanische Kompaktklassemodell mit Heckmotor kennzeichneten neue unverwechselbare Designlinien mit umlaufender, ausladender Blechfalte, die durch Chromleisten betont wurde. Hinzu kamen quer liegende Ovalscheinwerfer – ein markantes Erscheinungsbild, das die NSU-Führungsriege geradezu begeisterte.
Sofort nach Rückkehr vom Genfer Salon wurde Chefdesigner Claus Luthe beauftragt, innerhalb von nur drei Stunden Zeichnungen eines Prinz 4 im Corvair-Stil vorzulegen. Sechs Wochen später wurde das erste 1:1-Modell präsentiert und weitere sechs Monate später gingen die ersten Prototypen in Praxiserprobung. Eine rekordverdächtig schnelle Fahrzeugentwicklung gegen die Chevrolet offenbar keinerlei Einwände hatte. Jedenfalls verzichteten die Amerikaner auf Rechtsmittel gegen die dreiste Kopie, ganz so wie es übrigens die NSU-Hausjuristen vorher gesehen hatten.
Verkaufsboom und noch mehr Sportlichkeit
„Fahre Prinz und du bist König“ lautete das Werbemotto zur Markteinführung des neuen Kleinen mit innovativer schraubengefederter Hinterachse. König wurde anfangs aber vor allem NSU, denn mit dem Prinz und seinen späteren Ausbaustufen TT und TTS avancierten die Neckarsulmer zur deutschen Nummer eins in der kleinen Klasse. Sogar im Kleinwagenland Italien konnte die Prinzenfamilie eine Nische erobern, die vor allem Anfang der 1970er Jahre für eine ausreichende Auslastung der NSU-Produktionskapazitäten sorgte.
Eher Kaiser als König wurden die Käufer der Kraftmaschinen TT und TTS. Benannt waren die extraschnellen Miniracer nach der Tourist Trophy (TT) auf der Isle of Man, dem härtesten Motorradrennen der Welt. Hier errang das NSU-Motorrad-Werksteam 1954 als amtierender Weltmeister einen damals beispiellosen Vierfachsieg in der 250-ccm-Klasse und einen souveränen Sieg in der 125-ccm-Klasse. 1960 beschloss der NSU-Vorstand dann, automobile Privatfahrer im Tourenwagen- und Rallyesport zu unterstützen, zunächst mit Prinz II, III und Sport-Prinz, ab 1964 mit Wankel-Spider und ein Jahr später auch mit dem bis dahin schnellsten deutschen Serien-Kleinwagen aller Zeiten, dem Prinz 1000 TT. Als Basis diente dem sportlichen TT der 1963 präsentierte NSU 1000 C, ein Prinz mit verlängerter Frontpartie, 21 Zentimeter längerem Radstand und sechs warzenförmigen Rückleuchten. Ein noch markanteres Erkennungszeichen schmückte die Front des kleinen Prinzen im großen Format: Als erster Europäer übernahm er das kuriose Design der querliegenden Oval-Scheinwerfer des amerikanischen Corvair.
Nachdem die NSU-Arbeiter den 1000 C ob seiner Scheinwerfer im Maxiformat als „Oma“ aus dem Märchen „Rotkäppchen und der Wolf“ verspotteten („Großmutter, warum hast Du so große Augen?“), sollte der TT kein Wolf im Schafspelz sein. Mit sportlichen Doppelscheinwerfern und auffälligem TT-Schriftzug auf rallyeschwarzem Hintergrund statt der bei den ganz großen Heckmotor-NSU-Typen 110 und 1200 C üblichen Chromkühlergrillattrappen sollte der heißblütige TT die Überholspur frei räumen.
Noch eindrucksvoller präsentierte sich nur der 1967 eingeführte NSU TTS mit 51 kW/70 PS Leistung und auffälligem Ölkühler unter der vorderen Stoßstange. Ganz nach dem Vorbild der heißblütigen italienischen Heckmotorsportler von Abarth präsentierten sich TT und TTS gerne mit leicht aufgestellter hinterer Haube, die wie ein Heckspoiler wirken und gleichzeitig die Wärmeableitung des Motors verbessern sollte.
Tatsächlich waren die kleinen Überflieger auf Autobahnen schneller als gestandene Mittelklassemodelle wie Opel Rekord oder Ford 17 M und bei Sprinttests aus dem Stand auf Tempo 80 zeigte der TTS sogar dem Porsche 912 die aufgestellte hintere Haube. Auch das damals stärkste Serien-Motorrad der Welt, die bis zu 220 km/h schnelle Münch „Mammut“ TTS aus dem hessischen Friedberg, wurde von nachgeschärften 74 kW/100 PS entwickelnden TTS-Vierzylindern befeuert. Die Leistungskrone trugen jedoch die Flügeltürensportwagen der Karossiers Rolf Thurner und Helmut Kretschmann. Thurner und Kretschmann kombinierten jeweils das Prinz-1000-Fahrgestell mit TT-Motor und aufregend geformten Kunststoffkarosserien zu spektakulären Rennern, die insgesamt in knapp 200 Einheiten verkauft wurden. Während sich Kretschmanns 185 km/h schneller Gepard TT mit maximal 51 kW/70 PS beschied, erzielte Thurner im Typ RS mit Abt-Tuning 99 kW/135 PS – mehr als damals ein Porsche 911 T unter der Haube hatte.
Auch mit Wankel sportlich erfolgreich
Derweil fuhren die TT und TTS im Renneinsatz Trophäen in Serie ein, dies galt aber auch für die Rotarier vom Typ Wankel Spider. 1966 war es der Titel Deutscher Grand Tourisme-Rallyemeister und 1967/1968 waren es die Auszeichnungen als Deutscher Automobil-Bergmeister, die den Grundstein für eine jahrelange Erfolgsserie legten. Während die NSU TT und TTS mit Heckmotor jetzt nur noch im historischen Motorsport auf die Pole Position fahren, platziert heute Audi die legendären Typenkürzel TT und TTS mit Sportcoupés und Roadstern auf vorderen Plätzen in den entsprechenden Rubriken der Zulassungsstatistiken.
Die Basis zur Fusion der Typenkennung TT und TTS mit Audi-Modellen legte die 1969 gegründete Audi NSU Auto Union AG unter dem Dach des Volkswagenkonzerns. Es war eine Unternehmensverschmelzung, die für NSU eine existenzielle Krise löste. Schon seit 1965 suchten die Neckarsulmer nach einem starken Partner, aber AMC, Simca und British Leyland lehnten ab. Allein Wankel - Lizenznehmer Mazda war interessiert – und erhielt von NSU eine Abfuhr. In die Ehe mit Audi brachte NSU die Mitgift der künftigen VW-Mittelklasse K 70, den Rotarier Ro 80 und die damals in Deutschland einzigartige Klein- und Kompaktwagenkompetenz aus der Prinzen-Garde.
Der Preis, den NSU für die Fusion zahlte war allerdings hoch: Rechtzeitig vor der Markteinführung des Audi 50 kam 1973 das Aus für den Prinz und seine schnellen Brüder und mit dem Ende des Ro 80 verschwand das Neckarsulmer Logo gänzlich von Motorhauben. Unvergänglich sind allein die TT- und TTS-Signets vom „König der Berge“, wie die Werbung den stärksten Prinz nannte.